Account-Based Marketing für den Mittelstand - warum erfolgreiche B2B-Unternehmen aufhören, alle gleich zu behandeln
- Greta Sarapinaite
- vor 3 Stunden
- 6 Min. Lesezeit

Key Takeaways
Der Vertrieb kann nie alle potentiellen Kunden gleich intensiv betreuen.
Account-Based Marketing (ABM) bedeutet: Sie konzentrieren sich auf die Unternehmen, bei denen sich intensive Betreuung wirklich lohnt. Das ist kein neuer Marketing-Trick, sondern die Antwort auf eine einfache Realität: Entscheidungen dauern länger, mehr Menschen sind beteiligt, und generische Ansprache funktioniert nicht mehr. Im deutschen Markt kommt hinzu: Rechtliche Rahmenbedingungen erfordern durchdachte Kontaktstrategien. ABM ist weniger Reichweite, aber dafür die richtigen Gespräche mit den richtigen Unternehmen.
Das Problem: Warum sich Kundengewinnung heute anders anfühlt

Viele Vertriebsteams spüren es: Die Entscheidungen dauern länger. Mehr Menschen reden mit. Und bevor Sie überhaupt ins Gespräch kommen, haben potentielle Kunden sich schon monatelang selbst informiert – über Ihre Website, über Empfehlungen, über Vergleiche im Internet.
Ein konkretes Beispiel: Früher sprachen Sie mit dem Geschäftsführer und dem Fachbereichsleiter. Heute sitzen plötzlich auch IT, Datenschutz, Einkauf und mehrere Abteilungsleiter mit am Tisch. Jeder hat andere Fragen. Jeder hat ein Veto-Recht. Und jeder erwartet, dass Sie genau seine Perspektive verstehen.
Gleichzeitig haben Ihre Vertriebsressourcen nicht zugenommen. Sie können nicht alle potentiellen Kunden gleich intensiv betreuen. Und genau hier setzt Account-Based Marketing an.
Was ist Account-Based Marketing?
Account-Based Marketing (kurz: ABM) bedeutet übersetzt "kundenbasiertes Marketing". Der Begriff klingt komplizierter als er ist. Im Kern geht es um eine einfache Entscheidung:
Sie behandeln nicht mehr alle potentiellen Kunden gleich, sondern konzentrieren Ihre Ressourcen auf die Unternehmen, bei denen sich intensive Betreuung wirklich lohnt.
Statt mit der Gießkanne zu arbeiten (viele Kontakte, wenig Tiefe), arbeiten Sie mit dem Laserstrahl (weniger Unternehmen, dafür passgenau und intensiv).
Das bedeutet konkret:
Ihre Marketing- und Vertriebsteams einigen sich auf eine Liste von Zielunternehmen
Sie verstehen, wer in diesen Unternehmen mitentscheidet
Sie entwickeln passende Informationen für jede Rolle (Geschäftsführer brauchen andere Infos als IT-Leiter)
Sie planen mehrere Kontaktpunkte, die sinnvoll aufeinander aufbauen
Wichtig:Â Account-Based Marketing ist keine neue Werbekampagne. Es ist eine andere Art, Kundengewinnung zu organisieren.
Die Einheit ist nicht mehr "ein Kontakt" oder "ein Lead", sondern "ein Zielunternehmen".
Warum ABM gerade im Mittelstand funktioniert
Im deutschen B2B-Markt gibt es drei Besonderheiten, die Account-Based Marketing besonders wirksam machen:
1. Längere Entscheidungswege Deutsche Unternehmen entscheiden gründlich. Mehr interne Abstimmung, mehr Prüfungen, mehr Beteiligte. ABM akzeptiert das und arbeitet damit, statt dagegen.
2. Höhere Qualitätserwartung Generische Vertriebsansprache wird schnell aussortiert. Wer zeigt, dass er die spezifische Situation versteht, hat einen echten Vorsprung.
3. Rechtliche Rahmenbedingungen Kalte Werbeanrufe sind stark eingeschränkt. Massen-E-Mails ohne Einwilligung riskant. ABM setzt von vornherein auf durchdachte, rechtssichere Kontaktwege.
Was Sie konkret brauchen, damit ABM funktioniert
1. Eine klare Liste: Bei welchen Unternehmen lohnt sich intensive Betreuung?
Der häufigste Fehler beim Einstieg in Account-Based Marketing: Die Liste ist zu lang oder zu unscharf.
"Mittelständische Industrieunternehmen in Deutschland" ist keine Liste, sondern eine Wunschvorstellung. Eine gute Liste ist konkret genug, dass Sie begründen können, warum gerade diese Unternehmen jetzt für Sie relevant sind.
Praktische Kriterien könnten sein:
Unternehmen mit komplexen Prozessen, bei denen Ihre Lösung echten Mehrwert bringt
Unternehmen unter regulatorischem Druck (z.B. neue Compliance-Anforderungen)
Unternehmen, die international wachsen und Systemintegration brauchen
Unternehmen mit erkennbarem Koordinationsaufwand zwischen Abteilungen
Ein bewährter Ansatz: Drei Intensitätsstufen für den Vertrieb
Stufe 1 (intensiv): 10-20 strategische Zielunternehmen mit individueller Betreuung
Stufe 2 (mittel): 50-100 Unternehmen mit branchenspezifischer Ansprache
Stufe 3 (Basis): Breitere Reichweite mit Standardkommunikation
Das Ziel ist Fokus. Wenn alles höchste Priorität hat, ist nichts Priorität.
2. Marketing und Vertrieb arbeiten zusammen (wirklich)
Account-Based Marketing funktioniert nur als Teamarbeit. Wenn Marketing nach "Reichweite" optimiert und Vertrieb nach "Abschlüssen", entsteht automatisch Reibung.
Was sich ändern muss:
Gemeinsame Definition der Zielunternehmen
Gemeinsames Verständnis davon, was "Fortschritt" bedeutet
Regelmäßiger Austausch über Signale und nächste Schritte
Gute Ziele im Account-Based Marketing sind:
Mehr relevante Ansprechpartner in Zielunternehmen bekannt
Mehr Engagement mit unseren Inhalten (von den richtigen Personen)
Mehr qualifizierte Gespräche mit mehreren Entscheidern
Kürzere Zeit bis zum Abschluss in Zielunternehmen
Nicht "mehr von allem", sondern "richtiger".
3. Verschiedene Ansprechpartner brauchen verschiedene Informationen
In komplexen B2B-Entscheidungen gibt es selten "den Entscheider". Es gibt verschiedene Rollen mit unterschiedlichen Prioritäten.
Ein Beispiel aus der Praxis:
Der Geschäftsführer will verstehen: Welches Risiko gehe ich ein? Was kostet es wirklich (auch versteckte Kosten)? Wie lange dauert die Umsetzung?
Der IT-Leiter will wissen: Wie integriert sich das in unsere bestehende Landschaft? Wer betreut das System? Welche Sicherheitsstandards gelten?
Der Abteilungsleiter fragt sich: Funktioniert das im Alltag? Wie aufwändig ist die Umstellung für mein Team? Welche Schulungen sind nötig?
Der Einkauf braucht: Vergleichbare Angebote, klare Konditionen, Referenzen, Verlässlichkeit.
Wenn Sie diese unterschiedlichen Perspektiven in Ihrer Kommunikation abbilden, fühlt sich Ihre Ansprache nicht nach "Marketing" an, sondern nach Verständnis. Und genau das ist im Markt ein echter Wettbewerbsvorteil.
4. Mehrere Kontaktpunkte, die sinnvoll aufeinander aufbauen
Account-Based Marketing ist keine Einzelaktion, sondern eine Abfolge von Schritten. Im deutschen Markt funktionieren Programme besonders gut, wenn sie nicht sofort Zeit verlangen, sondern erst Orientierung bieten.
Ein typischer Ablauf könnte sein:
Schritt 1: Sichtbarkeit schaffen
Relevante Inhalte, die echte Probleme adressieren. Events, Fachartikel, Praxisbeispiele. Das Ziel: Das Zielunternehmen wird auf Sie aufmerksam.
Schritt 2: Signale erkennen
Jemand aus dem Zielunternehmen besucht wiederholt bestimmte Bereiche Ihrer Website. Lädt Dokumente herunter. Nimmt an einem Webinar teil: Signale für Interesse.
Schritt 3: Passende Folgeschritte anbieten
Jetzt erst kommt der aktive Kontakt – aber mit Kontext: Eine Checkliste zum Thema. Ein Praxisbeispiel aus der Branche. Ein Vergleichsrahmen für Entscheidungen.
Schritt 4: Konkretes Angebot
Wenn echtes Interesse erkennbar ist: Workshop-Angebot, gemeinsame Bedarfsanalyse, strukturiertes Erstgespräch mit mehreren Stakeholdern.
Dieser Aufbau ist nicht nur wirksamer, sondern auch rechtlich sauberer, weil Sie weniger "kalt" agieren und mehr auf erkennbares Interesse reagieren.
5. Inhalte, die wirklich weiterhelfen
Für Account-Based Marketing brauchen Sie keinen Content-Overkill. Sie brauchen wenige Materialien, die Entscheidergruppen intern weiterreichen können, weil sie bei der Entscheidungsfindung helfen.
Was gut funktioniert:
Executive Summary (eine Seite):
Problem, Auswirkungen, Lösungsansatz und groben Fahrplan auf einer Seite zusammenfassen.
Branchen-spezifische Beispiele:
Konkrete Abläufe, typische Herausforderungen und messbaren Nutzen zeigen (nicht nur "wir haben geholfen").
Praxisfälle mit Zahlen:
Welche Situation, welche Lösung, welches Ergebnis – mit echten Rahmenbedingungen, nicht nur Marketing-Versprechen.
Workshop-Angebote als nächster Schritt:
Gemeinsame Bedarfsanalyse, Prozess-Check oder System-Assessment – Formate, die als sicherer nächster Schritt funktionieren.
Ein guter Test: Würde jemand aus Ihrem Zielunternehmen das Dokument intern weiterleiten, weil es hilft, eine Entscheidung abzusichern?
6. Technische Unterstützung: Hilft, aber ersetzt keine Klarheit
Für den Start reicht meist:
Ein CRM als Single Source of Truth.
Marketing Automation für segmentierte Journeys.
Analytics für Engagement und Attribution.
Consent Setup für Website und Formulare.
Intent Daten, Enrichment und ABM Ads Plattformen sind sinnvoll, wenn Datenqualität und Prozesse schon stehen. In ABM gewinnt fast immer die Disziplin über die Tool Vielfalt.
Warum sich Selling verändert hat und warum ABM dazu passt
Früher war Reichweite ein Vorteil. Heute ist Aufmerksamkeit knapp. Entscheidergruppen erwarten Relevanz ab dem ersten Kontakt.
Sie wollen Belege, nicht Versprechen.
Sie wollen Sicherheit, dass ein Projekt umsetzbar ist und intern Bestand hat.
Und sie haben weniger Geduld für generische Pitches.
ABM passt zu dieser Realität, weil es nicht versucht, sie zu überlisten. Es akzeptiert Komplexität und macht sie steuerbar: mit Fokus, Rollenlogik, Sequenzen und sauberer Messung auf Account Ebene.
Ein pragmatischer 30 Tage Einstieg in ABM
Woche 1: Fokus schaffen
Listen Sie 20-30 Unternehmen auf, bei denen Ihre Lösung echten Mehrwert bringt
Definieren Sie, woran Sie "Fortschritt" bei diesen Unternehmen messen
Klären Sie, welche Information welcher Rolle helfen würde und was Sie davon schon im Unternehmen haben
Woche 2: Inhalte vorbereiten
Erstellen Sie eine Übersicht: Welche Rollen entscheiden mit?
Schreiben Sie auf, welche Fragen jede Rolle hat
Entwickeln Sie ein starkes Kern-Dokument (z.B. Executive Summary oder Branchen-Beispiel), am besten das im Unternehmen bestehende einsetzen
Woche 3: Erste Sichtbarkeit
Starten Sie mit einem relevanten Format (Webinar, Fachartikel, Event)
Richten Sie Landing Pages mit sauberem Einwilligungs-Prozess ein
Beginnen Sie, Signale zu sammeln (Wer interessiert sich wofür?)
Woche 4: Auswerten und nachjustieren
Welche Zielunternehmen zeigen Interesse?
Welche Inhalte funktionieren?
Was ist der logische nächste Schritt für interessierte Unternehmen?
Ziel nach 30 Tagen ist nicht Perfektion, sondern ein funktionierender Rhythmus.
Fazit: Fokus statt Gießkanne
Account-Based Marketing ist kein schneller Trick, sondern ein strukturierter Ansatz für nachhaltiges Wachstum im komplexen B2B-Umfeld.
Gerade im deutschen Mittelstand entfaltet dieser Ansatz sein Potenzial, wenn drei Dinge zusammenkommen:
Fokus auf klar definierte Zielunternehmen
Passende Kommunikation für verschiedene Entscheider
Durchdachte Kontaktwege, die rechtlich sauber und vertrauensbildend sind
Die richtigen Tools (z. B. Creatio / Microsoft Dynamics) sind dabei kein Selbstzweck, sondern ein entscheidender Schritt hin zu Klarheit:Â
Welche Zielunternehmen zeigen Interesse? Wo stehen wir in der Kommunikation? Was funktioniert?
So wird aus diffuser Kundengewinnung planbare Pipeline – mit weniger Streuverlusten und mehr Gesprächen mit den Unternehmen, bei denen sich intensive Betreuung wirklich lohnt.